Seien wir uns etwas wert

Wir sollten lernen, das Leben und einander zu lieben — eine andere Wahl haben wir nicht.

von Elisa Gratias, Jens Wernicke

Woran erkennen Sie Beziehungen von Wert? Daran, dass der andere Ihnen nach dem Mund redet oder stets tut, was Ihrer Meinung nach das Beste für Sie ist? Wir meinen: Wirkliche Be-ziehung sieht anders aus — und ist vor allem eines: ein Ort offener Bezogenheit, die zu persönlichem Wachstum einlädt. Ein Ort, an dem Empathie Brücken über Differenzen baut, kein Ort, an dem jeder den anderen zu erziehen und sich selbst gleich zu machen versucht.

„Glück ist wichtig, aber wichtiger ist Sinn“, schreibt der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid. Friedrich Nietzsche drückte es so aus: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“.

Viele Menschen stellen sich die Frage nach dem Sinn anscheinend gar nicht mehr. Vielleicht unterschätzen sie die Wirkung einer sinnvollen Tätigkeit? Vielleicht haben sie Angst davor sich einzugestehen, dass ihre tägliche Arbeit, ihr Leben im Hamsterrad des Neoliberalismus gar keinen Sinn verfolgt? Dass sie immer weiter machen, weil es alle anderen auch so machen?

Mit unserer täglichen Arbeit möchten wir dazu einladen, sich etwas Zeit für die wie ein Damokles-Schwert über unserer Existenz schwebende Frage nach dem Sinn zu nehmen. Wir möchten aufrütteln und ermutigen. Darum schreiben wir nicht einfach „das Übliche“. Und darum provozieren wir auch. Denn wir alle sind ein Teil der Lösung — bis dahin aber auch jeweils ein Teil des Problems.

Niemand hat nur und mit allem Recht, und darum — Recht zu haben — geht es auf dem Weg in eine menschlichere Zukunft auch nicht.

Wie schrieb bereits Rumi so klar? „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort begegnen wir uns.“ Auf dem Weg zu diesem Ort brauchen wir Mut, Tatendrang, den festen Willen, jenseits der Matrix des Gewohnten zu denken, fühlen und handeln — und immer wieder auch die Fähigkeit, unser Denken erschüttern zu lassen und Neues zu integrieren.

Bei Erich Fromm liest sich das so:

„Was weiß ich schon von mir, wenn ich nicht weiß, dass das Bild, das ich von mir selbst habe, zum größten Teil ein künstliches Produkt ist und dass die meisten Menschen — ich schließe mich nicht aus — lügen, ohne es zu wissen? Was weiß ich, solange ich nicht weiß, dass ‚Verteidigung‘ Krieg bedeutet, ‚Pflicht‘ Unterwerfung, ‚Tugend‘ Gehorsam und ‚Sünde‘ Ungehorsam?

Was weiß ich, solange ich nicht weiß, dass die Vorstellung, dass Eltern ihre Kinder instinktiv lieben, ein Mythos ist? Dass Ruhm nur selten auf bewundernswerte menschliche Qualitäten und häufig nicht auf echte Leistungen gründet? Dass die Geschichtsschreibung verzerrt ist, weil sie von den Siegern geschrieben wird? Dass betonte Bescheidenheit nicht unbedingt ein Beweis für fehlende Eitelkeit ist? Dass Liebe das Gegenteil von heftiger Sehnsucht und Gier ist?

Was weiß ich schon von mir, wenn ich nicht weiß, dass jeder versucht, schlechte Absichten und Handlungen zu rationalisieren, um sie edel und wohltätig erscheinen zu lassen? Dass das Streben nach Macht bedeutet, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe mit Füßen zu treten? Dass die heutige Industrie-Gesellschaft vom Prinzip der Selbstsucht, des Habens und des Konsumierens bestimmt ist und nicht von den Prinzipien der Liebe und Achtung vor dem Leben, die sie predigt? Wenn ich nicht fähig bin, die unbewussten Aspekte der Gesellschaft, in der ich lebe, zu analysieren, kann ich nicht wissen, wer ich bin, weil ich nicht weiß, in welcher Hinsicht ich nicht ich bin.“

Wir machen nicht alles richtig und sind ganz sicher nicht „perfekt“. Aber wir — der Rubikon — werden Ihnen eines ganz sicher immer sein: ein unbequemer Zeitgeist, der sich um menschliche Größe bemüht und niemals bequem dabei ist, ein Zeitgeist, der gemeinsam mit Ihnen klüger und reifer werden will — und der Ihnen dennoch immer den Spiegel vorhalten und Sie provozieren wird, sich auch einmal auf die Weltsichten anderer einzulassen. Ein streitbarer Geist, der sich von niemandem das Wort verbieten oder seine Pluralität einschränken lassen wird.

Unser Team-Mitglied Jens Lehrich hat hierzu ein gutes Mantra für sich. Oft sagt er, wenn es schwierig wird:

„Wir brauchen Empathie da, wo es weh tut — alles andere ist keine Empathie“.

Wir sehen das ähnlich. Und deswegen können Sie sich auf eines verlassen: Der Rubikon wird niemals zahm, schüchtern, einseitig oder dogmatisch werden.

Wenn auch Sie der Meinung sind, dass etwas dieser Art — Klarheit, Empathie und Ehrlichkeit statt Kolonialisierung, Anpassung und Nach-dem-Mund-Reden —, das ausmacht, was Freundschaft und Beziehung eigentlich meint, dann seien Sie sich zukünftig doch ganz bewusst etwas wert: uns.