Forderungen des VPK zur Bundestagswahl 2025

Die Kinder- und Jugendhilfe steht vor großen Herausforderungen, welche nur unter gemeinsamer
Anstrengung und durch das Zusammenwirken aller am Hilfeprozess Beteiligten erfolgreich
bewältigt werden können. Die mit der Reform des SGB VIII einhergehenden Veränderungen sind
zum großen Teil begrüßenswert. Aber um auch in Zukunft erfolgreich im Sinne junger Menschen
wirken zu können, müssen die zukünftigen Regierungsparteien mit innovativen Ansätzen und einer
angemessenen Finanzierung die Weichen für eine echte Verbesserung der Lebenssituation von
jungen Menschen stellen. Die Bedarfe der in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen lebenden
jungen Menschen müssen fokussiert und ihre Anliegen in den Mittelpunkt gestellt werden. Gerade
die geplante Umsetzung der Inklusion in all ihren Facetten, aber auch die Bekämpfung des
vielerorts bestehenden Fachkräftemangels sowie der Umgang mit der stetigen Zunahme
komplexer Fallverläufe stellen die Kinder- und Jugendhilfe vor Herausforderungen, denen nur
durch das konstruktive und ergebnisorientierte Handeln von Bund, Ländern, Kommunen und
freien Trägern unter Partizipation der jungen Menschen begegnet werden kann.
Der VPK richtet sich mit den folgenden Forderungen an die zukünftigen demokratischen Parteien
und erwartet von der neuen Regierung, dass sie die Anliegen und Interessen junger Menschen
und ihrer Familien wahrnimmt, diese bei der Ausgestaltung ihrer Regierungsprogramme
berücksichtigt und alles dafür tut, jungen Menschen – unabhängig von jeglichem
Zugehörigkeitsgefühl und jeglicher Diversität – ein selbstbestimmtes und selbstwirksames
Aufwachsen zu ermöglichen.

  1. Kinderschutz
    Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) bringt vielfältige neue Möglichkeiten und
    Aufgaben mit sich. Neben dem enthaltenen Ziel der inklusiven Ausrichtung, der Festlegung
    einer stärkeren Einbeziehung der Eltern in den Erziehungsprozess sowie einer Ausweitung
    der Beteiligungsrechte junger Menschen begrüßt der VPK vor allem auch die weitergehende Stärkung des Kinderschutzes, die der Verband in Kooperation mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) bereits seit Jahren konsequent verfolgt. Einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Ziels eines verbesserten Schutzes von jungen Menschen vor sexueller Gewalt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen geleistet. Das Gesetz soll dazu beitragen, sexuellen Kindesmissbrauch gezielt zu bekämpfen, systematisch aufzuarbeiten und zu verhindern. Mit Sorge hingegen betrachtet der VPK, dass dieses Ziel an einer ungenügenden und teils nicht ausreichend qualifizierten Personalausstattung, insbesondere auch bei öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, scheitern könnte. Der VPK fordert, die Anstrengungen zur Entwicklung und Umsetzung gelingender Schutzkonzepte von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe weitervoranzutreiben und fortzuentwickeln. Hier sind aus Sicht des VPK auch Verbesserungen in den Ländern und Gebietskörperschaften – insbesondere hinsichtlich der gegenseitigen Kooperation – erforderlich, die nur durch die kontinuierliche Begleitung, Beratung und Kontrolle sichergestellt werden können.
  2. Inklusive Kinder- und Jugendhilfe
    Der VPK hat sich im Rahmen des vom BMFSFJ initiierten Beteiligungsprozesses zur
    inklusiven Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe und im Schulterschluss mit
    zahlreichen Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren für die
    Verabschiedung eines Gesetzes zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe
    (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG) eingesetzt. Der Verband bedauert, dass
    das Gesetz allen Anstrengungen zum Trotz in der aktuellen Legislaturperiode nicht mehr
    verabschiedet werden konnte. Umso wichtiger ist es, den eingeschlagenen Weg
    konsequent weiter zu verfolgen, derzeit noch bestehende Änderungsbedarfe (u. a. im
    Kontext des Leistungsrechts verbunden mit der Schiedsstellfähigkeit ambulanter Hilfen
    oder bezüglich des eigenen Rechtsanspruchs junger Menschen) zu klären und in der kommenden Legislaturperiode ein inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz zuverabschieden, das den Anforderungen in der Praxis so gut wie möglich gerecht wird. Die inklusive Kinder- und Jugendhilfe darf keinesfalls zum Scheitern verurteilt sein. Der VPK fordert, das Ziel der inklusiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe weiter zuverfolgen und auf Grundlage der im Rahmen des Beteiligungsprozesses erarbeiteten Haltungen, Expertisen und Synergien auch in der kommenden Legislatur weiter mit Lebenzu füllen. Hierfür müssen überzeugende neue Strukturen geschaffen, die Schnittstellenarbeit verbessert und multiprofessionelle Kooperationen (weiter-) entwickelt werden. Die dabei zu bewältigenden Herausforderungen bedürfen der Sicherstellung von gut ausgebildetem Personal, das den neuen Aufgaben entsprechend regelmäßig weiterqualifiziert werden muss. Für eine erfolgreiche und bedarfsgerechte Umsetzung der großen Lösung ist die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel unumgänglich, da sich die inklusive Haltung auch in einer angemessenen Ausstattung widerspiegeln muss und sich eine inklusive gesellschaftliche Ausrichtung nur auf diesem Weg nachhaltig festigen kann.
  3. Wirksame Beteiligung und Stärkung von Partizipationsmöglichkeiten und Kinderrechten
    Die sehr begrüßenswerte Ausweitung der Beteiligungsrechte innerhalb des Kinder- und
    Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) gilt es mit Leben zu füllen. Eine erfolgreiche Kinder- und
    Jugendhilfe kann sowohl in Politik als auch Praxis nicht ohne die Beteiligung der jungen
    Menschen selbst gelingen, und Verbesserungen in der Angebotslandschaft sollten nicht
    nur für, sondern vor allem mit den jungen Menschen gemeinsam erarbeitet werden. Um
    jungen Menschen auch bei der anstehenden Bundestagswahl eine Stimme zu geben, hat
    sich der VPK mit einer Umfrage direkt an die in Jugendhilfeeinrichtungen lebenden jungen
    Menschen gewandt. Die Umfrage zeigt ganz klar: Junge Menschen wünschen sich u.a.
    soziale Gerechtigkeit, ein bezahlbares Leben sowie eine sichere Zukunft. In einer Zeit voller
    Krisen – von Inflation und innerpolitischen Spannungen über den Klimawandel bis hin zu
    Kriegen – zeigt sich, dass junge Menschen sehr genau wahrnehmen, was um sie herum
    geschieht. Die Sichtbarmachung und vorrangige Berücksichtigung dieser Bedürfnisse und Interessen von Kindern sind eine zentrale, langfristige und herausfordernde gesellschaftspolitische Aufgabe. Sie zu erfüllen obliegt allen freiheitlich-demokratisch denkenden und handelnden Kräften in Deutschland. Hierbei stellt die überzeugende Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz einen wichtigen Schritt auf diesem Weg dar. Der VPK fordert die Beteiligung und Stärkung von Partizipationsmöglichkeiten junger Menschen. Der Verband appelliert an die neue Bundesregierung, die Anliegen der heranwachsenden Generation ernst zu nehmen und sie an allen sie betreffenden Entscheidungsprozessen aktiv zu beteiligen. Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist aus dieser Konsequenz heraus folgerichtig und muss in der neuen Legislaturperiode unbedingt umgesetzt werden.
  4. Partizipative Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe
    Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz misst dem Ausbau und der Verstetigung
    partizipativer Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe zu Recht eine herausragende
    Bedeutung bei. Diese Zielerreichung ist nur auf Grundlage eines kooperativ ausgerichteten
    Grundverständnisses zwischen der freien und der öffentlichen Jugendhilfe denkbar. Neue
    Vorschriften im Kinderschutz dürfen entgegen ihrer gesetzgeberischen Absicht in der
    Praxis nicht zu unnötiger und weiterer Bürokratie in den ohnehin überlasteten Systemen
    führen – dies wäre in der Sache des Kinderschutzes kontraproduktiv. Ein wirksamer
    Kinderschutz wird vor allem durch Vertrauensbeziehungen gewährleistet, die durch
    Kontinuität und Regelmäßigkeit sicherzustellen ist; hieran hat es in der Vergangenheit
    immer wieder gemangelt. Eine diesbezügliche Stärkung wird auch im Hinblick auf die
    Zunahme komplexer Hilfebedarfe und die damit einhergehenden stetig zunehmenden
    bundesweiten Fallanfragen für passende Betreuungsmöglichkeiten deutlich.
    Der VPK fordert die partnerschaftliche und verbindliche Kooperation zwischen freier und
    öffentlicher Jugendhilfe. Es gilt zudem, die Vernetzung von Pilotprojekten und Expertisen
    im Umgang mit komplexen Hilfebedarfen auch in der neuen Legislaturperiode zuunterstützen und weiter auszubauen, um damit eine Vielzahl an Einrichtungswechseln zu verhindern und den jungen Menschen ein bedarfsgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen. Die mit dem dramatisch steigenden Bedarf an Hilfen zur Erziehung verbundene steigende Komplexität der Fälle schließlich zeigt, dass eine intensive Präventionsarbeit in Kooperation mit Familien und weiteren Beteiligten des sozialen Bereichs unerlässlich ist.
  5. Finanzierungsstrukturen
    Die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland ist auf kommunaler Ebene aufgrund von
    verkrusteten Finanzierungsstrukturen nach wie vor unterfinanziert. Dies hat weitreichende
    negative Folgen für junge Menschen mit Leistungsbedarfen in denjenigen Kommunen, die
    über ein unzureichendes Steueraufkommen verfügen. Dies kann in einer unbeabsichtigten
    Nebenfolge zur Ungleichbehandlung junger Menschen in der Weise führen, dass diesen
    die notwendigen und geeigneten Hilfen aus Kostengründen nicht zuteilwerden und
    widerspricht zudem dem Ziel der inklusiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe.
    Der VPK fordert, dass die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen in
    Bezug auf die Kostenverteilungen in der Kinder- und Jugendhilfe einer grundlegenden
    Überprüfung unterzogen werden, damit junge Menschen unabhängig von ihrem Wohnort
    die für sie notwendigen Hilfeleistungen erhalten.
  6. Gleichstellung und Förderung
    Privat-wirtschaftliche Träger bieten in der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere bei den
    Hilfen zur Erziehung (HzE) einen immer höheren Anteil an Unterstützungsangeboten an.
    Dies hängt in erster Linie mit ihrer Leistungsbereitschaft und der Qualität ihrer
    Leistungsangebote zusammen, die am konkreten Hilfebedarf von jungen Menschen
    ausgerichtet sind. Dies wird von öffentlichen Trägern honoriert und nachgefragt und ist
    insbesondere auch im Hinblick auf die bereits erwähnte Zunahme von Fallkomplexitäten
    von großer Bedeutung. Privat-wirtschaftliche Leistungsanbieter sind insoweit schon lange
    fester und wichtiger Bestandteil der Angebotsstruktur in der Kinder- und Jugendhilfe.Ungeachtet dessen sind es jedoch nach wie vor die gemeinnützigen Träger der Kinderund Jugendhilfe, die vom Gesetzgeber aus nicht nachvollziehbaren Gründen weiterhin einseitig privilegiert werden. Dies mag zwar historisch nachvollziehbar sein, steht heute aber nicht mehr in Einklang mit der Realität und dem Alltag einer modernen Kinder- und Jugendhilfe, in der privat-wirtschaftliche Träger eine bedeutende Rolle einnehmen. So gilt es aus Sicht des VPK, die aktuell nach wie vor bestehenden Benachteiligungen zu beseitigen, sodass die wichtigen Angebote der Kinder- und Jugendhilfe im Interesse der jungen Menschen und deren Familien von allen Leistungserbringern bereitgestellt werden können. Private Träger geben schon heute wichtige und flexible Antworten auf viele der bestehenden Probleme – ihre Expertise und ihre Angebote sollten von daher unbedingt genutzt werden. Auch hinsichtlich der finanziellen Förderung gilt es, privat-wirtschaftliche Träger gleichzustellen, um jungen Menschen unabhängig der Trägerschaft ihrer Unterbringung gleiche Voraussetzungen und ein damit verbundenes bedarfsgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen. Bisher sieht der Gesetzgeber eine Finanzierung zur Förderung der freien Jugendhilfe nach § 74 SGB VIII i.V. mit § 75 SGB VIII nur für gemeinnützige und – in der Regel – anerkannte freie Träger vor. Damit schließt er privat-wirtschaftliche Träger faktisch aus, obwohl sie in den Statusnormen des SGB VIII gleichgestellt sind und qualitativ eine mindestens gleichwertige Leistung erbringen. Diese einseitige Privilegierung fußt auf einem völlig veralteten Verständnis von „Gemeinnützigkeit“, da dieses nach wie vor mit einer steuerlichen Gemeinnützigkeit gem. der Abgabenordnung gleichgesetzt wird. Dies entspricht aber dem Grunde nach nicht der Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs 11/6748 S. 82) und erst recht nicht dem gesellschaftspolitischen Wirken von privatwirtschaftlichen Trägern, die gleichermaßen einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe leisten. Der VPK fordert aus diesen Gründen eine rechtliche Gleichstellung aller Träger in der Kinder- und Jugendhilfe, welche die gesellschaftlichen Realitäten und Notwendigkeiten berücksichtigt und die inakzeptable rechtliche Ungleichbehandlung von privatwirtschaftlichen Trägern beendet. Zudem gilt es, zukünftig alle Träger der Kinder- und Jugendhilfe, die zur Förderung der freien Jugendhilfe beitragen, gleichermaßen an der Finanzierung nach § 74 SGB VIII i.V. mit § 75 SGB VIII zu beteiligen und nicht – wie bisher – nur gemeinnützige Träger. Dies gilt beispielsweise auch für differenzierte statistische Erhebungen, in denen die Angebote privater Träger zukünftig explizit ausgewiesen werden sollten (z.B. Kinder- und Jugendhilfestatistik).

VPK-Bundesverband e.V.

Februar 2025

Quelle: VPK forderungen_bundestagswahl_2025.pdf